Die G 72 entstand aus dem Gedanken, aus der G 71 eine Lok mit Verbundtriebwerk zu entwickeln. Dieses sollte auf langen Streckenabschnitten zu einer höheren Effizienz führen und es ermöglichen, in der Ebene Güterzüge von bis zu 1.400 Tonnen mit damals ausreichenden 40 km/h zu befördern. Auf Steigungen von 5 Promille waren noch 690 Tonnen und 30 km/h gefordert.
Die Verbundbauart mit nur zwei Zylindern bedeutete, dass der rechte Zylinder den Hochdruckdampf aufgenommen hat und danach der linke den Niederdruckdampf. Trotz des höheren Aufwands bei Herstellung und Wartung bewährte sich diese Konstruktion im Vergleich zur einfachen Dampfexpansion und somit entstanden alleine für Preußen zwischen 1895 und 1911 insgesamt 1.642 Stück bei diversen Herstellern. Ab 1914 fertigte Linke-Hofmann weitere elf Stück für die Mecklenburgische Friedrich-Franz-Eisenbahn.
Die Reichsbahn übernahm 1923 noch 691 Stück und bezeichnete diese als 55 702 bis 55 1392. Wie auch bei ihrer Schwester wurde jedoch schon bald deutlich, dass eine Lok mit einer Höchstgeschwindigkeit von 45 km/h auch für den Güterverkehr im Streckeneinsatz zu langsam ist. Da sich das komplizierte Verbundtriebwerk aber nicht für den Rangierdienst eignete, wurden fast alle noch vor dem Beginn des Zweiten Weltkriegs ausgemustert. Nach dem Krieg war eine größere Anzahl bei beiden Deutschen Bahnen vorhanden, die nach dem Polenfeldzug nach Deutschland zurückgekehrt waren. Diese spielten jedoch im Gegensatz zur G 71 keine große Rolle mehr und verschwanden bis 1961.