Die Achsfolge 1'E bezeichnet eine Dampflok, bei der es eine Vorlaufachse und fünf Kuppelachsen gibt. Die in Nordamerika gebräuchliche Bezeichnung lautet „Decapod”, welche jedoch in Großbritannien eher für Maschinen der Achsfolge E oder 0-10-0 stand. Diese Bauart entstand als Güterzuglokomotive in Einsatzbereichen, in denen eine sehr hohe Zugkraft nötig war und wo es keine hohen Anforderungen an die Laufruhe bei hohen Geschwindigkeiten gab.
In unterschiedlichen Ländern wird diese Achsfolge folgendermaßen bezeichnet:
Decapod
UIC: 1'E
Whyte: 2-10-0
Schweiz: 4/5
Frankreich: 150
Türkei: 45
Eine Herausforderung bei der Konstruktion von Loks mit fünf in einem Rahmen gelagerten Achsen war die Kurvenlauffähigkeit. Die einfachste Möglichkeit war das Schwächen oder Weglassen der Spurkränze an einigen Achsen. Ein weiterer Ansatz war die Verwendung seitlich verschiebbarer Achsen, wie sie Karl Gölsdorf bei Loks der Achsfolge E einführte. Die komplexeste Lösung bestand daraus, die Vorlaufachse zusammen mit der ersten Kuppelachse in einem Krauss-Helmholtz-Lenkgestell zusammenzufassen, welches auch eine Auslenkung der ersten Kuppelachse erlaubt. Trotz dieser Maßnahmen waren die Loks in der Regel nicht schneller als 80 km/h.
Die Unterbringung einer breiten Feuerbüchse war bei dieser Achsfolge nicht sehr einfach, da die Räder der letzten Kuppelachsen den Weg versperrten. Deswegen kam meist eine langgezogene Feuerbüchse zum Einsatz, die zwischen den Rädern eingezogen war. Da die Kuppelräder bei diesen Güterzugloks in der Regel nicht sehr groß waren, konnte auch ein hoch angeordneter Kessel verwendet werden, dessen breiter Rost oberhalb der Räder lag. Dies führte oft zu einem etwas ungewohntem Aussehen, da sich dabei zwischen dem Rahmen und dem Langkessel eine Lücke auftat.
Die allererste Lokomotive der Achsfolge 1'E entstand bereits 1867 bei der Lehigh Valley, wurde aber auf Grund der ungenügenden Kurvenlauffähigkeit bald in eine 1'D1' umgebaut. Auch später entstanden in den USA nur einzelne Maschinen mit dieser Achsfolge, die für spezielle Einsätze gedacht waren. Dies waren vor allem besonders bergige Abschnitte und zum Teil auch Strecken mit Spitzkehren. Eine der wenigen US-Gesellschaften, die größere Zahlen von Decapods anschafften, war die Pennsylvania Railroad. Die schwerste Type war die I-2 der Western Maryland, die es auf 420.000 Pound oder 190,5 Tonnen gebracht hat.
Für den Export fertigten US-Firmen dagegen sehr große Stückzahlen von Decapods. Die größte Bestellung kam aus dem Russischen Kaiserreich, das während des Ersten Weltkriegs insgesamt 1.200 Exemplare bei verschiedenen Firmen bestellte. Von diesen wurden bis zur Oktoberrevolution nur 857 Stück ausgeliefert und die restlichen 200, bisher fertiggestellten an kleine US-Bahngesellschaften verteilt, die eine gute Verwendung für diese Maschinen auf Nebenstrecken finden konnten. Auch im Zweiten Weltkrieg wurden weitere 2-10-0 an die Sowjetunion geliefert.
In Mitteleuropa entstand die Achsfolge 1'E als Erweiterung der Achsfolge E, um auch Geschwindigkeiten von mehr als 50 km/h zu ermöglichen. Da die Vorlaufachse oft mit weniger als zehn Tonnen belastet war, stand trotzdem noch der größte Teil der Masse als Reibungsmasse zur Verfügung. Nachdem die 1'E-Loks mehrerer Länderbahnen von der Reichsbahn in die Baureihe 58 eingeordnet worden waren, wurde diese Achsfolge bei den Einheitsloks als Standard für Güterzugloks festgelegt. Somit entstand eine fünfstellige Anzahl der Baureihen 42, 44, 50 und 52, die zum Teil noch nach Kriegsende im Ausland nachgefertigt wurden und in einigen Ländern bis in die Achtziger oder Neunziger eingesetzt wurden. In Österreich waren zudem auch Gebirgsschnellzugloks in der Achsfolge 1'E gebaut worden, die mit maximal 70 km/h auf kurvigen Bergstrecken eingesetzt wurden.
Eine frühe belgische 1'E-Güterzuglok war die Type 36 von 1909, die gemeinsam mit der Pacific der Type 10 entwickelt worden war. Sie hatte einen hoch angeordneten Kessel, dessen großer Rost auf dem Rahmen stand und sie zur stärksten Güterzuglok Europas in ihrer Zeit machte. In Frankreich wurden ab 1910 in etwa 40 Jahren mehr als 500 Decapods für die PO, die Est, die Nord und die SNCF fertiggestellt. In Polen begann man in den Zwanzigern mit dem Bau von Loks dieser Achsfolge und kam bis 1958 auf eine Stückzahl von etwa 1.200. Da in Großbritannien vierfach gekuppelte Maschinen in der Regel für die schwersten Güterzüge ausreichten, war diese Achsfolge dort nur selten anzutreffen. Die einzigen Vertreter waren die Kriegslok Austerity 2-10-0, die aus der 2-8-0 entstanden war und die Standard 9F. Letztere nahm in Sachen Geschwindigkeit eine Sonderstellung ein, da sie auf Grund ihrer guten Konstruktion bis zu 90 mph oder 145 km/h erreichen konnte.